Neurologische Störungen

Vorkommen & Bedeutung

Neben Aborten und vereinzelten respiratorischen Erkrankungen verursacht EHV1 auch neurologische Erkrankungen, die durch Paresen und Paralysen gekennzeichnet sind und in der Mehrzahl der Fälle zum Tod des Tieres führen. EHV1 bedingte neurologische Erkrankung können sporadisch oder epizootisch auftreten (Stierstorfer et al. 2002). Vor allem in den letzten Jahren scheint die neurologische Form der EHV1 Infektion häufiger aufzutreten (APHIS 2007, Lunn et al. 2009). Auffällig ist die Saisonalität der Ausbrüche der neurologischen Form im Spätherbst, Winter und im Frühjahr (Goehring et al. 2006).

Besonders häufig ist bei der neurologischen Form der Phänotyp D752 von EHV1 nachweisbar (Lunn et al. 2009).

Beim Auftreten herpesbedingter neurologischer Störung handelt es sich meist nicht um eine Neuinfektion, sondern um eine Reinfektion mit EHV1 (Bitsch und Dam 1971) bzw. um das Reaktivieren einer latenten bzw. persistierenden Infektion. Ursache für das Reaktivieren einer latenten EHV Infektion kann jede Form von Stress sein, besonders häufig wird jedoch von einem Ausbruch der neuronalen Form nach dem Einstellen neuer Pferde in die Herde berichtet (Goehring et al. 2006).

Allerdings erkranken nur etwa 10% aller mit EHV1 infizierten Tiere neurologisch. Warum es bei der Mehrzahl der Tiere nicht zu klinischen Symptomen kommt, ist unklar, ebenso wie die Faktoren, die das Erkrankungsrisiko erhöhen (Lunn et al. 2006). Auffällig ist jedoch, dass die neurologische Form häufiger bei älteren Pferden auftritt (Lunn et al. 2009), was für eine Bedeutung des Immunstatus in der Pathogenese der neurologischen Form sprechen könnte.  Bei älteren Pferden ist in der Regel die humorale Immunantwort auf EHV1 ausgeprägter als die zelluläre (Paillot et al. 2007). Eine Untersuchung von ungeimpften Pferden in den Niederlanden ergab, dass neben dem Alter auch die Rasse und das Geschlecht das Risiko für das Auftreten der neurologischen Erkrankungsform erhöht. So sind Ponys und kleinere Rassen seltener betroffen, während größere Tiere und Stuten stärker gefährdet sind (Goehring et al. 2006).

Klinik

Der zeitliche Abstand zwischen initialer Herpesvirusinfektion des Respirationstraktes und den folgenden neurologischen Symptomen beträgt etwa sechs bis zehn Tage (Allen 2002).

Die klinischen Symptome der ZNS-Form können sehr unterschiedlich sein. Die Schwere der Erkrankung hängt ab vom Ausmaß der neurodegenerativen Schädigung. Möglich sind milde Verlaufsformen mit einer nur leichten Ataxie, über Paresen und vollständigen Paralysen. Zusätzlich kann eine Schweif-, Anus- und Blasenlähmung mit Inkontinenz auftreten (Reed 2005). Festliegende Tiere müssen meist aufgrund von Komplikationen euthanasiert werden. Den Höhepunkt erreicht die klinische Problematik meist innerhalb der ersten 2-3 Tage nach Beginn der Erscheinungen (Allen 2002).

Während bei den klassischen ZNS-Erkrankungen des Pferdes Enzephalitissymptome im Vordergrund stehen, sind die dominierenden Leitsymptome der EHV Infektion die der Myelopathie. Sie bestehen in Störungen der Mobilität unterschiedlicher Schweregrade und Ausfällen der Funktion spinaler Nerven (Thein 2005). Obwohl die Chance einer restitutio ad integrum zumindest dann recht hoch ist, wenn die Tiere nicht zum Festliegen kommen, werden betroffene Tiere auf Grund der klinischen Symptomatik und tierschutzrechtlichen Gründen häufig auch euthanasiert (Reed 2005).

Pathogenese

Die Pathogenese der EHV induzierten neurologischen Erkrankungen ist noch nicht restlos geklärt (Wilson 1997). Vermutlich dringt EHV1 im Anschluss an die leukozytengebundene Virämie in die Endothelzellen der Blutgefäße ein. Hier entstehen Defekte in den Gefäßwänden und im angrenzenden Gewebe. In diesem Fall kommt es zur Immunkomplexbildung, gefolgt von der Kaskade gefäßschädigender, vasoaktiver Amine und deren morphologischen und funktionellen Konsequenzen am Endothel des Neuroparenchyms, mit der Folge der klinischen Ausfälle. Als Folge der Unterversorgung und der sich daraus ergebenden verschlechterten Stoffwechsellage treten hypoxische Degenerationen auf. Die Gefäßpermeabilität wird erhöht und es kommt zu Blutungen. Diese sind häufig auch in der Maulschleimhaut erkennbar. Finden Blutungen im Nervengewebe des Rückenmarks statt, kommt es zu einer Kompression des Rückenmarks und dadurch zunächst zu Ataxien und später auch zu Lähmungserscheinungen (Paraplegie oder gar Paralyse) (Lunn et al. 2006).

Pathohistologie

Pathohistologisch fanden sich bei Pferden, die aufgrund von herpesbedingten ZNS-Symptomen euthanasiert werden mussten, im ganzen Rückenmarksbereich Hämorrhagien, die besonders im Bereich des Thorax und im Lumbalbereich ausgeprägt waren (Lunn et al 2006). Außerdem wurden Schwellungen der Axone beobachtet. Darüber hinaus wurden Veränderungen an den Myelinscheiden sowie eine gesteigerte Aktivität von Astrozyten und Mikrogliazellen nachgewiesen (Stierstorfer et al. 2002).

Therapie

Die Behandlungsmöglichkeiten von EHV bedingten neurologischen Störungen sind rein symptomatischer Nature. Je nach dem Zustand des Tieres ist eine parenterale Rehydratation und Ernährung, die Gabe eines Breitspektrumantibiotikums sowie gegebenenfalls von DMSO oder NSAID und Acyclovir angezeigt (Reed 2005). Thein (2005) sieht die Schwerpunkte der pragmatisch vorgenommenen Therapie in gerinnungsfördernden, roborierenden und paramunisierenden Maßnahmen. Außerdem müssen festliegende Pferde weich gelagert werden. Bei einer Paralyse von Schweif- und Blase ist eine Entleerung sowohl des Rektums als auch der Blase alle 2-3 Stunden notwendig.